Phonetisch-Phonologische Aussprachestörungen: Ursachen, Klassifikation und Therapie

Definition - Phonetisch-Phonologische Aussprachestörungen

Aussprachestörungen sind gekennzeichnet durch Schwierigkeiten, die Laute der Zielsprache altersgemäß und situationsgerecht korrekt zu bilden und/oder korrekt zu verwenden. Betroffen sein können einzelne Laute, mehrere Laute oder ganze Lautklassen, die fehlgebildet, ersetzt oder ausgelassen werden. Diese Störungen können symptomatisch im Rahmen organischer Störungen auftreten, wie zum Beispiel bei Dysarthrien, Dysglossien oder Hörschädigungen.

Bei funktionellen Aussprachestörungen, also ohne nachweisbare organische Ursachen, wird zwischen verschiedenen Typen unterschieden:

Phonetische Störung (Sprechstörung): Die Artikulation ist betroffen. Die innere, geistige Form der Sprache ist korrekt, aber bei der lautlichen Realisation der inneren Sprache kommt es zu Störungen.

Phonologische Störung (Sprachstörung): Das sprachliche Wissen, das phonologische Regelsystem, ist betroffen. Dies führt zu Besonderheiten auf der Ebene der inneren Form der Sprache. Obwohl die lautliche Realisation korrekt möglich wäre, erscheint diese aufgrund der veränderten inneren Sprache gestört.

Phonetisch-phonologische Störung: Eine Mischform, bei der sowohl die innere Form der Sprache als auch die lautliche Realisation Störungen aufweisen.

Diese Störungen können isoliert oder in Verbindung mit Auffälligkeiten auf anderen Sprachebenen auftreten, besonders im Rahmen einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung. Weitere gebräuchliche Begriffe sind funktionelle Dyslalie bzw. funktionelles Stammeln und Artikulationsstörung, wobei letzterer sich nur auf phonetische Aspekte bezieht.

Klassifikation und Terminologie

Phonetische Störungen

Eine phonetische Störung, auch Artikulationsstörung genannt, ist eine Sprechstörung, bei der die Sprechmotorik eingeschränkt ist und/oder Auffälligkeiten der intraoralen Sensorik vorliegen. Dadurch ist die Lautbildung gestört, und der betroffene Laut kann isoliert nicht gebildet werden. Dies äußert sich in Fehlbildungen (Ersetzungen durch nicht muttersprachliche Laute) oder Ersetzungen (durch andere muttersprachliche Laute, die artikulationsmotorisch einfacher zu bilden sind).

Ein häufiges Beispiel für phonetische Störungen sind Sigmatismen, bei denen die Frikative /s/ und /z/ betroffen sind. Weitere Beispiele sind Rhotazismen (Artikulationsstörung des /r/), Schetismus (betroffener Laut „sch“), Kappazismus (betroffener Laut /k/), Gammazismus (betroffener Laut /g/) und Lambdazismus (betroffener Laut /l/).

Sigmatismen

Unter Sigmatismen versteht man verschiedene Arten von Fehlbildungen der Frikative /s/ und /z/. Es gibt zwei Arten der korrekten Lautbildung: dorsal und apikal. Bei der dorsalen Bildung wird die Zunge an die hintere Beißkante der unteren Schneidezähne angelegt, während die apikale Lautbildung in Richtung der hinteren oberen Zahnreihe erfolgt, ohne diese zu berühren. Häufige Formen von Sigmatismen sind:

  • Sigmatismus addentalis: Zunge liegt an den oberen Schneidezähnen; die Luft tritt fächerförmig aus, hörbar wird ein dumpfer Klang.
  • Sigmatismus interdentalis: Zunge befindet sich zwischen den oberen und unteren Schneidezähnen; der Klang ist unscharf und dumpf.
  • Sigmatismus lateralis: Luft entweicht mit schlürfendem Klang seitlich aus den Zahnreihen.

Rhotazismen

Rhotazismen sind Artikulationsstörungen des /r/, das korrekt als alveolarer Trill, uvularer Trill oder uvularer Reibelaut (in norddeutscher Aussprache) realisiert werden kann. Bei Ersetzung des /r/ durch den Liquid-Laut /l/ spricht man von Pararhotazismus, und bei vollständigem Fehlen des Lautes von Arhotazismus. Ursachen können morphologische Veränderungen der Zungenspitze oder des Gaumens sein, wie bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.

Phonologische Entwicklungsstörungen

Phonologische Störungen betreffen den systematischen Gebrauch der Laute. Je nach theoretischem Hintergrund wird der Begriff unterschiedlich verwendet. Phonologische Störungen können als Persistieren von abzubauenden phonologischen Prozessen, als Nicht-Beachtung der bedeutungsunterscheidenden Funktion von Lauten oder als Ausdruck unvollständigen sprachlichen Wissens verstanden werden.

Phonologische Prozesse sind systematische Veränderungen, die Kinder im frühen Spracherwerb zeigen. Diese Prozesse sind physiologisch und typisch für den Spracherwerb von Kindern zwischen zwei und fünf Jahren. Die Überwindung dieser Prozesse kennzeichnet den Fortschritt im Spracherwerb.

Silbenstrukturprozesse

Durch Auslassung, Addition oder Umstellung von Lauten bzw. Silben werden Silben- und Wortstrukturen verändert. Häufige Silbenstrukturprozesse sind:

  • Auslassung finaler Konsonanten: Gabel → [gabə]
  • Auslassung unbetonter Silben: Banane → [na:nə]
  • Addition/Epenthesis: Brot → [bəro:t]
  • Silbenwiederholungen: Wasser → [vava]
  • Vereinfachung von Mehrfachkonsonanz: Treppe → [krεpə] oder [klεpə]

Substitutionsprozesse

Lauteigenschaften werden verändert, was den Artikulationsort, die Artikulationsart oder die Stimmhaftigkeit betrifft. Beispiele sind:

  • Labialisierung: Kamm → [pam]
  • Alveolarisierung: Gabel → [dabəl]
  • Velarisierung: Tante → [kantə]
  • Plosivierung: Löwe → [lø:bə]
  • Affrizierung: Löffel → [lœpfəl]
  • Nasalierung: Nase → [da:zə]
  • Stimmgebung: Kamm → [gam]

Umgebungsprozesse (Harmonisierungsprozesse)

Diese Prozesse berücksichtigen den phonetischen Kontext und beinhalten Angleichungen an die lautliche Umgebung. Beispiele sind:

  • Labialassimilation: Gabel → [babəl]
  • Velarassimilation: Tag → [gag]
  • Nasalassimilation: Hand → [nan]
  • Regressive Assimilation: Schaf → [faf]
  • Progressive Assimilation: Mann → [mam]

Klassifikationsmodell für funktionelle Aussprachestörungen nach Fox & Dodd

Annette Fox übertrug das Klassifikationsmodell von Barbara Dodd (1995) aus dem britischen Sprachraum auf den deutschen Sprachraum. Fox führte dazu eine Studie mit deutschsprachigen Kindern durch, bei denen der Verdacht auf eine Aussprachestörung bestand. Dieses Modell teilt aussprachegestörte Kinder in vier Untergruppen ein:

  1. Phonetische Störung: Unfähigkeit, eine annehmbare Version eines Phons zu produzieren. Die bedeutungsunterscheidende Funktion bleibt erhalten.
  2. Phonologische Verzögerung: Physiologische Prozesse persistieren länger als typischerweise zu erwarten.
  3. Konsequente Phonologische Störung: Mindestens ein nicht-physiologischer Prozess tritt auf, der in der regulären Entwicklung nicht vorkommt.
  4. Inkonsequente Phonologische Störung: Identische Wörter werden nicht immer gleich realisiert.

Traditionelle Klassifikation und Terminologie

Der Begriff Dyslalie wurde von A. Kussmaul (1885) eingeführt und beschreibt abweichende oder krankhafte Sprachproduktion. Diese Einteilung unterscheidet nicht zwischen phonetischen und phonologischen Aspekten, was in der Therapie von Bedeutung ist. Traditionelle Einteilungen beinhalten quantitative und qualitative Aspekte sowie ätiologische Unterscheidungen:

  1. Quantitativer Aspekt: Einteilung nach Lautausfällen oder Fehlbildungen (isolierte, partielle, multiple, universelle Dyslalie).
  2. Qualitativer Aspekt: Mogilalie (Auslassung), Paralalie (Ersetzung), Dyslalie im engeren Sinne (Fehlbildungen).
  3. Symptomatischer Aspekt: Lautdyslalie, Kontextdyslalie, inkonstante und inkonsequente Dyslalie.
  4. Ätiologischer Aspekt: Organische (z.B. Dysarthrie, Dysglossie) und funktionelle Dyslalie (keine erkennbare organische Ursache).

Prävalenz

Aussprachestörungen treten bei 4-7% der Kinder im Vorschulalter als Teilsymptomatik bei Spezifischen Sprachentwicklungsstörungen auf. Isolierte Aussprachestörungen sind bei weiteren ca. 10% der Kinder im Vorschulalter zu finden. Fehlbildungen des /s/-Lauts sind bei 35% der 6-jährigen und bei 25% der 8-10-jährigen Kindern noch vorhanden.

Verlauf

Ein Rückstand in der produktiven Lexikonentwicklung im Alter von 24 Monaten kann zu Beeinträchtigungen des Wortverständnisses, eingeschränkten phonologischen und prosodischen Fähigkeiten sowie Verzögerungen in der Symbolspielentwicklung und bei Kategorisierungsfähigkeiten führen. Ältere Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen können unterschiedliche Schwerpunktprofile entwickeln, die sich im Laufe der Zeit als eigenständige Defizite herausstellen. Jede sprachliche Ebene kann isoliert oder in Kombination mit anderen betroffen sein.

Ätiologie

Organisch bedingte Aussprachestörungen

Organische Ursachen können Erkrankungen und Missbildungen der Artikulationsorgane, Hörstörungen, motorische Störungen, neurologische Störungen und Wahrnehmungsstörungen umfassen. Beispiele sind Zahn- und Kieferanomalien, Lähmungen, Verletzungen, frühkindliche Zerebralparesen und minimale zerebrale Dysfunktion.

Soziokulturell bedingte Aussprachestörungen

Ungünstige Lebensumstände, geringe Sprechanlässe und Kommunikationsarmut können zu soziokulturell bedingten Aussprachestörungen führen. Aussprachebesonderheiten bei mehrsprachigen Kindern können Folge unzureichender Deutschkenntnisse und Interferenzen mit der Muttersprache sein.

Erblich bedingte Aussprachestörungen

Familiäre und genetische Dispositionen können ebenfalls eine Rolle spielen.

Psychisch bedingte Aussprachestörungen

Neurotische Fehlentwicklungen, problematische Familieninteraktionen und Erziehungsunsicherheiten können psychisch bedingte Aussprachestörungen verursachen.

Ätiologie in Anlehnung an das Klassifikationsmodell von Fox & Dodd

Fox und Dodd unterscheiden vier Gruppen, die jeweils spezifische Ursachen haben:

  • Phonetische Störung: Peripheres sensuomotorisches Problem.
  • Phonologische Verzögerung: Entwicklungsbremse durch audiogene oder psychische Faktoren.
  • Konsequente Phonologische Störungen: Kognitiv-linguistisches Defizit, Störung der Inputverarbeitung.
  • Inkonsequente Phonologische Störungen: Defizite im phonologischen Arbeitsgedächtnis und bei der Planung motorischer Programme.

Quellen - Literatur

  • Böhme, G. (2003). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Stuttgart: Fischer.
  • Braun, O. (2004). Sprachstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Vol.5, pp. 42-52. Kohlhammer W.
  • Fox, A. V. (2003). Kindliche Aussprachestörungen. Phonologischer Erwerb, Differentialdiagnostik, Therapie. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.
  • Grohnfeldt, M. (2001). Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd. 2 Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Siegmüller, J. & Bartels, H. (2006). Leitfaden Sprache – Sprechen – Stimme – Schlucken. München [u.a.]: Elsevier, Urban und Fischer.
  • Jahn, Tanja (2007): Phonologische Störungen bei Kindern: Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Urban & Fischer.

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